Ein Endverbraucher muss sich nicht erst über seine Vertriebsstrategie klar werden, bevor er Künstliche Intelligenz zu seinem Vorteil einsetzt. Er probiert einfach die neuen kostenfreien Tools oder Features von GAFA & Co. aus. Durch sein Smartphone ist er in der Lage, seine Kommunikation mit Unternehmen quasi auszulagern. Mit Google Duplex gibt es in den USA bereits heute einen digitalen Assistenten, der Termine beim Friseur vereinbart oder im Restaurant einen Tisch reserviert. Endverbraucher nutzen also bereits Künstliche Intelligenz, um zu kommunizieren. Dagegen haben viele Vertriebsabteilungen in Sachen KI deutlichen Nachholbedarf. Höchste Zeit, das zu ändern.
Der Käufer ist schon da
Nicht nur Endverbraucher profitieren von KI, sondern auch Einkaufsabteilungen. Bei der Lieferantenauswahl achten sie auf weitaus mehr als die passenden Produktspezifikationen. Früher hat sich der Einkauf lediglich die Bilanz eines Zulieferers angeschaut. Inzwischen recherchieren, strukturieren und bewerten KIs die gesamten Rahmenbedingungen, die einem Unternehmen – auch auf Druck seiner Kunden hin – wichtig sind: das Umweltbewusstsein des Zulieferers, seine Haltung zu Menschenrechten, politischen Themen und Sicherheitsaspekten sowie der Führungsstil auf Vorstandsebene.
Verändertes Kauf- und Verkaufsverhalten
Es ist gar nicht lange her, da hat sich das Kaufverhalten von Einkaufsabteilungen und Endverbrauchern schon einmal grundlegen geändert: durch das Internet. In den vergangenen 20 Jahren haben viele Unternehmen dadurch Marktanteile und Umsätze eingebüßt. Nicht wenige sind noch heute überrascht, dass ihre bisherigen Strategien und Inhalte nicht mehr funktionieren. Sie wollen nicht erkennen, dass das Internet die Basis für eine nie zuvor gekannte Markttransparenz schafft. Die ehemals markentreue Zielgruppe hat heute eine viel größere Auswahl und andere Informations- sowie Recherchemöglichkeiten. Entsprechend ist eine tendenzielle Wechselwilligkeit an die Stelle alter Markenbindungen getreten. Den Unternehmen, die hier den Anschluss verpasst haben, war es zu viel Arbeit, das Geschehen in den Social Media und auf Bewertungsportalen im Auge zu behalten und dort aktiv zu sein. Sie haben geglaubt, es aussitzen zu können, als GAFA & Co. die Auffindbarkeit ihrer Web-Präsenzen und -Informationen beschnitten haben. Sie haben weder die Technologie Internet noch das Verhalten ihrer Zielgruppe ausreichend beobachtet und analysiert. Und sie haben nicht rechtzeitig auf das geänderte Kaufverhalten reagiert: mit einem entsprechend angepassten Verkaufsverhalten. Angesichts des nächsten Paradigmenwechsels durch KI darf dies jetzt kein zweites Mal passieren.
Herausforderungen im Umgang mit KI
Damit sich der Sales nicht erst mühsam auf ein verändertes Kundenverhalten einstellen muss, sollte er es kontinuierlich beobachten – und dieses Wissen mit den neuen eigenen strategischen und technologischen Möglichkeiten kombinieren. Denn es kommen gleich zwei Herausforderungen auf die Kommunikatoren im Vertrieb zu: Einerseits müssen sie sich ausgiebig mit möglichen eigenen KI-Kommunikations-Szenarien beschäftigen. Andererseits sollten sie erforschen, welche Informationsbedürfnisse bestehen und welche Anwendungen ihre Zielgruppe bereits jetzt oder in absehbarer Zukunft einsetzt. Zu wissen, wonach eine Lieferanten- oder eine Endverbraucher-KI sucht und wie sie das Ergebnis bewertet, ist der erste Schritt. Setzen sich Unternehmen nicht damit auseinander, welche digitalen Informationen ihre Zielgruppe braucht, kann die großartigste KI-unterstützte Vertriebs-Kampagne vollkommen ins Leere laufen.
KI in der Vertriebs-Kommunikation
Künstliche Intelligenz verändert schon heute die Art und Weise, wie Unternehmen in ihrer Kommunikation arbeiten. Es existieren schon viele Tools, mit denen man im Vertrieb Zeit und Ressourcen sparen kann. Angefangen von der schriftlichen Übersetzung in unterschiedliche Sprachen (z.B. DeepL) über die direkte mündliche und schriftliche Übersetzung von Meetings (z.B. Microsoft Translator App) bis zur Transformation von Content in unterschiedliche Formate: von Text zu Sprache (z.B. Amazon Polly), Text zu Video (Wibbitz) oder von Audio/Video zu Text (Trint).
Größere KI-Lösungen benötigen allerdings eigenständige Projekte: die Sprachsteuerung von CRM-Systemen (Einstein Voice), die Analyse und Segmentierung von Kundendaten (m-brain), die Aufbereitung von Kundendaten (OneDot), die Einrichtung einfacher Chatbots (Facebook-Messenger) sowie komplexer Schrift-Bots (Cognigy) oder Avatar-Bots (Amelia). Wer einen Chatbot einsetzt, muss sich genau überlegen, welche Persönlichkeit der Bot annehmen und verkörpern soll. Während mich für meine Speaker-Tätigkeit meine digitalen Assistentin Gaby (Mailresponder in Ausbildung zum Chatbot) bei den immer gleichen Anfragen von Teilnehmern und Veranstaltern unterstützt, ist es Greta im Vertrieb oder Robi beim Thema Employer Branding.
An allen Touchpoints, an denen sich Anfragen oder Informationen häufig wiederholen, lohnt es, über den zusätzlichen Einsatz von einfachen Schrift-Bots bis hin zu komplexen Sprach-Bots mit Zugriff auf Back-End-Systeme (Conversational AI) nachzudenken. Denn das Vertrauen wächst, so eine aktuelle Statista-Studie (2019): 83 Prozent der Deutschen können sich vorstellen, mit Künstlichen Intelligenzen zu kommunizieren. Das entspricht einer Steigerung um 25 Prozentpunkte innerhalb eines Jahres.
Wichtig ist nur, immer offen zu kommunizieren, dass es sich um einen Bot handelt.
Darüber hinaus gibt es KI-Lösungen, mit denen man ganz neue Insight über seine Kunden erhält: z.B. durch die Auswertung der Stimme und Sprache (Mattersight), von Mimik und Gestik (Affectiva) oder sogar von anderen Körpersignalen wie Herzfrequenz und Atmung (EQ-Radio). Algorithmen können heute nicht nur herausfinden, was eine Person in einem bestimmten Moment will. Sie erkennen auch, wie sie sich in diesem Moment fühlt oder wie sie generell tickt. Mit diesem Wissen lassen sich die spezifische Ansprache und das Angebotsportfolio zielführend verändern.
Beim Auftragsmanagement im Vertrieb lässt sich die heute schon weit verbreitete Automatisierung durch Spracheingabe noch weiter vereinfachen. Beim Angebotsportfolio können Analysen der Datenbasis (Suche nach digitalen Zwillingen, Kundenwert-Analyse, Bonitätsprüfung) oder auch AB-Tests wie z.B. Eyetracking bei Landingpages oder die Überprüfung von Videos (refineAI) helfen.
Ferne Zukunft war gestern
Schauen wir noch etwas weiter in die Zukunft, wird klar, dass die Nutzung Künstlicher Intelligenz auf Anbieter- und Käufer-Seite nicht nur die Art und Weise verändert, wie der Vertrieb arbeitet, sondern einen Teil der Vertriebs-Kommunikation komplett revolutioniert. Warum? Weil in Zukunft immer öfter KIs auf der Anbieterseite direkt mit KIs auf der Nachfrageseite kommunizieren werden. Sie benötigen dafür kein Chichi und keine schöne Website. Anders als Menschen lassen sich KIs in ihrer Entscheidung nicht von psychologischen Effekten beeinflussen. Sie brauchen Daten, Zahlen und Fakten. Und diese in einer Tiefe, Breite und Geschwindigkeit, wie Menschen sie weder verstehen noch schnell genug bieten könnten. Die Voraussetzung für eine reibungslose Kommunikation zwischen KIs ist hierbei – noch viel mehr als heute –, dass aktuelle und relevante Daten verfügbar und zugänglich sind. Wer hofft, dadurch werde irgendein Kanal überflüssig, täuscht sich. Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass Kanäle und Technologien zeitweise zwar an Bedeutung verlieren, aber nie ganz verschwinden. Auch Kommunikationskanäle sind Moden unterworfen, es gibt Wellenbewegungen. Aktuell und wohl noch für die nächsten zehn Jahre heißt die Monsterwelle Digitalisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz. Die Komplexität nimmt dadurch aber nicht ab, sondern zu. Ein Grund mehr, sich durch KI Hilfe zu holen.
Kommunikation wird menschlicher
Die Befürchtung, Kommunikation könnte ihren Human Touch völlig verlieren, ist zum Glück unbegründet. Es ist kein Widerspruch: Durch den Einsatz von Technologien wird Kommunikation mitunter sogar menschlicher. Was wir als typisch menschliche Kommunikation empfinden, ist eine Kommunikation mit individuellem Charakter – eine echte One-to-One-Kommunikation. Sie ist direkt, schnell, spezifisch, relevant, verständlich, vertrauensvoll und persönlich. Tatsächlich ist KI in der Lage, all diese Kriterien zu erfüllen. Als erster Chatbot der Geschichte gilt Eliza – eine virtuelle Psychotherapeutin, die Joseph Weizenbaum schon 1966 programmierte. Maschinen haben in solch einer individuellen Interaktion sogar Vorteile: Sie können unser Verhalten, unsere Mimik, Stimme und Körpersignale interpretieren, und in ihre Kommunikation fließen keine eigenen Befindlichkeiten ein. Ein Chatbot kennt keine schlechten Tage.
Jetzt handeln
Unternehmen müssen agieren, nicht abwarten. Verantwortungsbewusste Unternehmer sollten ihre Vertriebsabteilung jetzt dazu befähigen, an der Zukunft ihrer Kommunikation zu arbeiten. Denn für die Wettbewerbssituation von Unternehmen ist es entscheidend, ihr Verkaufsverhalten dem geänderten Einkaufsverhalten ihrer Zielgruppe anzupassen – und dieser Änderung im Idealfall sogar zuvorzukommen. Es gilt, Zeit und Ressourcen im Unternehmen für die Beobachtung und Analyse von neuen Technologien und Verhaltensänderungen zur Verfügung zu stellen. Branchenverbände sowie Messe- und Kongressveranstalter bieten häufig Vorträge und Workshops zu den diversen Trendthemen an. Auch Inhouse-Workshops und externe Berater sind sinnvoll.
Einen Schritt voraus sein
Indem der Vertrieb in der Kommunikation mit Automatisierung und KI experimentiert, trainiert er seine Zukunftsfähigkeit. Für die Recherche nach passenden Tools empfiehlt es sich, einen Mitarbeiter aus der Kommunikationsabteilung zu wählen, der technologieaffin ist und gut Englisch spricht. Viele deutsche Anbieter von KI-Technologien versuchen, ihre internationale Bedeutung nach außen zu tragen, indem sie ihre Informationen nur auf Englisch anbieten. Was die Recherche wiederum vereinfacht: Viele Technologieanbieter offerieren kostenfreie Probe-Accounts und unterstützen Anwender beim Experimentieren. Der Wandel in der Vertriebskommunikation ist allgegenwärtig und die Digitalisierung ist unabwendbar. Um im Wettbewerb der Zukunft zu bestehen, ist es unerlässlich, sich jetzt mit den Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen – im Hinblick auf die eigenen Kommunikations-Szenarien ebenso wie in Hinsicht auf die Informationsbedürfnisse und die präferierten Anwendungen der eigenen Zielgruppe. Schon damit die Bemühungen einer Einkaufs-KI nicht ins Leere laufen.
Download Tool-Collection
Die Anzahl der digitalen Helferlein ist schon heute recht groß. Eine kleine Auswahl und was sie leisten, verrät die Tool-Collection von Möller Horcher, die unter https://www.moeller-horcher.de/landingpage/tool-collection/ zum kostenlosen Download bereitsteht. Darin haben die Kommunikationsexperten die Lösungen DeepL, Wortliga Textanalyse, Amazon Polly, Trint, Cogia, Wibbitz, IOX-Bot, Parlamind und Retresco unter die Lupe genommen.
Gabriele Horcher ist Kommunikations-Wissenschaftlerin und geschäftsführende Gesellschafterin der Kommunikationsagentur Möller Horcher in Offenbach und Freiberg (www.moeller-horcher.de). Sie ist Bestseller-Autorin, Vortrags-Rednerin – auch vertreten durch die Handelsblatt Redner Agentur – und Expertin für das Thema „Zukunft der Kommunikation“ (www.gabriele-horcher.de). Horcher hat ihre unternehmerische Pflicht zu ihrer Leidenschaft gemacht: Sie beobachtet, analysiert und prognostiziert seit drei Jahrzehnten den Wandel der Kommunikation.