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Wie AR den Einzelhandel in der Pandemie neu definiert

Augmented Reality

Covid-19 hat viele Bereiche virtuell aufgewertet und Industrien wie auch den US-Einzelhandel weit in die Zukunft vorangetrieben. So hat die Pandemie laut IBMs Bericht „U.S. Retail Index 2020“ die Umstellung auf das digitale Einkaufen um etwa fünf Jahre beschleunigt.

Die Welt der Augmented Reality (AR)-Anwendungen

Virtuelle „Try-before-you-buy“-Erfahrungen, die von der Vorschau von Möbeln und Produkten im Wohnbereich mit Alltagsmarken wie IKEA und Home Depot bis hin zum virtuellen Anprobieren von Luxusmode wie Louis Vuitton und Gucci reichen, sind auf dem Vormarsch. Einst ein Nice-to-have-Feature, hat sich AR schnell zu einer wichtigen Technologie für Einzelhändler entwickelt.

Als Covid-19 die Juweliergeschäfte der Schmuckmarke Kendra Scott vorübergehend schloss, führte der Einzelhändler ein AR-Tool ein, mit dem die Kunden eine Auswahl an  Ohrringen bequem von zu Hause aus virtuell anprobieren konnten. Mit Hilfe eines iPhones und des Webbrowsers Safari (eine App war nicht erforderlich) konnten so die Kunden die Produkte direkt an ihren Ohren anschauen und unmittelbar kaufen.

Nachdem stationäre Geschäfte wiedereröffnet wurden, haben Hygiene und Sicherheit vielfach eine hohe Priorität erhalten. Als Reaktion auf die Pandemie untersagten Kosmetikeinzelhändler wie Sephora und Ulta den Kunden, Make-up-Produkte physisch auf ihrer Haut auszuprobieren. Stattdessen greifen Einzelhändler zunehmend auf AR zurück, um den Kunden dabei zu helfen, Tausende von Make-up-Nuancen digital zu testen und sie dadurch bei der Kaufentscheidung zu unterstützen.

Das vor vier Jahren eingeführte virtuelle Anprobier-Schönheitstool von Ulta, GLAMlab, hat seit der Pandemie einen sprunghaften Nutzungsanstieg erlebt. Das Engagement hat sich versiebenfacht, und mehr als 50 Millionen Make-ups wurden nach der Pandemie digital mit der App ausprobiert.

Laut einer weltweiten Nielsen-Studie aus dem Jahr 2019 nannten die Verbraucher Augmented und Virtual Reality als die Spitzentechnologien, die sie im täglichen Leben zukünftig besser unterstützen sollten. Tatsächlich gaben etwas mehr als die Hälfte (51%) an, dass sie bereit seien, diese Technologie zur Bewertung von Produkten zu nutzen. Seither wird das Interesse stark zugenommen haben, da wir gesehen haben, wie sich AR von einer manchmal effekthascherischen Technik zu einer Lösung für echte Problemstellungen der Kunden entwickelt hat, insbesondere inmitten der Pandemie. Das E-Commerce-Unternehmen Shopify hat kürzlich neue Daten veröffentlicht, die zeigen, dass Interaktionen mit Produkten, die AR enthalten, eine 94% höhere Konversionsrate aufweisen als Produkte ohne AR.

Einzelhändler beginnen inzwischen auch, die AR-Technologie einzusetzen, um das digitale Einkaufserlebnis mit virtuellen Ladenfronten neu zu gestalten. Im Mai arbeitete der Einzelhändler Kohl’s mit Snapchat zusammen, um Kohls AR Virtual Kollektion zu entwickeln. Mittels Smartphone und der Snapchat-App können Verbraucher virtuell in eine AR-Umkleidekabine gehen, Artikel ausprobieren und untereinander kombinieren und einen Einkauf tätigen, ohne die App (oder ihr Zuhause) verlassen zu müssen. Die Artikel, die im Kohl’s AR Virtual Cabinet zum Kauf angeboten werden, werden ständig auf der Grundlage der Verbraucherbedürfnisse aktualisiert. Die erste Erfahrungen wurden mit Top-Frühjahrsmodellen gesammelt. Als die Käufer nach bequemer Kleidung für das Home Office suchten verlagerte sich das Sortiment auf Aktiv- und Freizeitartikel. Die neueste Kollektion bietet Artikel für die Schulanfangssaison mit einem Sortiment an Levi’s-Produkten. Kunden können auch die neue Funktion Selfie Lens nutzen, um sich selbst in der Levi’s Trucker-Jacke anzuschauen. Levi’s ist eine Marke, die ihre AR-Einzelhandelsstrategie mit digitalen Tools wie Squad, einer Online-Co-watching-Videoanwendung, bei der Freunde gemeinsam einkaufen können, weiter ergänzt. Die App wurde im April lanciert, um einige der sozialen Erfahrungen, die die Menschen vermissen und nach denen sie sich inmitten der Pandemie gesehnt haben, nachzuempfinden.

Gaming als Erlebniserfahrung

Die nächste Phase des erweiterten Einzelhandels wird wahrscheinlich eine spielerische soziale Erlebniserfahrung sein. Burberry hat vor kurzem zusammen mit Snapchat ein AR-Spiel für In-Stores entwickelt. Die US-amerikanische AR-Expertin Helen Papagiannis kann sich vorstellen, dass das Konzept auf digitale Ladengeschäfte und virtuelle Regale ausgedehnt wird, in denen man spielen, erkunden und mit Freunden einkaufen kann. Dies fällt mit einem aktuellen Trend zusammen, der bei Mode- und Schönheitsmarken wie Estée Lauder, Gucci und Miu Miu beliebt ist: mobile Arcade-Spiele. Burberrys „B Surf“-Handy-Rennspiel enthielt sogar AR-Face Filter und verschiedene Charaktere als Gewinne. Mode- und Kosmetikunternehmen, die diesen digitalen Unterhaltungsansatz anwenden, profitieren davon, indem sie mit neuen, jüngeren Konsumenten in Kontakt treten. „Wir wissen, dass sie sowohl online als auch offline in einer zunehmend spielerischeren Umgebung leben, und wir freuen uns, dass sie auf diese Weise der Burberry-Community beitreten – und unsere neue Kollektion erkunden können“, sagte Mark Morris, Senior Vice President of Digital Commerce bei Burberry.

Entwicklung rein virtueller Güter

Dies führt uns zu einem weiteren aufstrebenden Bereich des erweiterten Einzelhandels und des digitalen Einkaufs: virtuelle Güter als Waren. Helen Papagiannis sieht bereits den Verkauf virtueller Waren von Luxuseinzelhändlern wie Louis Vuitton, die digitale Skins (Markenkleidung und Accessoires, mit denen Charaktere bekleidet werden können) im E-Sportspiel League of Legends anbieten. Es wird vorhergesagt, dass die Verbraucherausgaben für gaming loot boxes und Skins bis 2022 weltweit 50 Milliarden Dollar (USD) erreichen werden.

Virtuelle Anprobe-Erlebnisse sind ein ausgezeichneter Anwendungsbereich für AR im Einzelhandel: Sie ermöglichen es den Verbrauchern, eine Vorschau von Produkten zu betrachten, die zu Hause am eigenen Körper digital skaliert werden und dann sofort das entsprechende physische Produkt kaufen zu können. Aber was wäre, wenn man zusätzlich zu den physischen Gegenständen auch virtuelle Objekte wie Schmuck, Kleidung oder Kunst kaufen könnte, für die es ein physisches Gegenstück geben kann oder auch nicht? Virtuelle Objekte sind eine Möglichkeit für Verbraucher mit einer Marke zu interagieren, sie anzuprobieren und sogar einen Teil davon zu besitzen, der sonst vielleicht nicht zugänglich wäre.

AR erobert sogar die Welt der Kunst

Das naheliegendste Beispiel, das wir für AR-Produkte zum Kauf gesehen haben, ist in der Kunstwelt zu finden. Im März eröffnete der Künstler Brian Donnelly (alias KAWS) in Zusammenarbeit mit Acute Art eine AR-Kunstausstellung mit dem Titel „Expanded Holiday„. Die App zeigte AR-Skulpturen, die man für 7 Dollar pro Woche oder 30 Dollar für einen Monat mieten konnte. Papagiannis sieht auch Hinweise auf dieses neue Einzelhandelsmodell in der digitalen Fashion-Arena mit virtuellen Kleidungsstücken. Aber anstatt die Charaktere in Spielen mit diesen „digitalen Skins“ zu kleiden, statten wir uns jetzt selbst aus.

Papagiannis erwartet die Zunahme verkaufsfähiger virtueller Güter mit einer neuen Art des erweiterten Einzelhandels. Von der Pandemie betroffen ist ein Trend, den man als „digitalen Lippenstifteffekt“ bezeichnen kann. Der „Lippenstifteffekt“ hat sich historisch gesehen darauf bezogen, dass Verbraucher auch in Rezessionen und wirtschaftlichen Abschwüngen weiterhin Geld für kleine Luxusgüter ausgeben. Lippenstift als ein potentiell zugängliches Produkt wird in der heutigen Zeit zu einer Metapher, analog zum digitalen Lippenstift oder zu jedem virtuellen Gut.

Wie Helen Papagiannis in Augmented Human geschrieben hat, gilt das alte Regelwerk, wie wir die reale Welt verstehen und mit ihr interagieren, nicht mehr, und in vielen Ländern wirkte die Pandemie als Katalysator für diesen digitalen Wandel. Der physische Einzelhandel muss sich als Reaktion darauf weiterentwickeln, und AR hat bewiesen, dass es einen grossen Mehrwert für die Verbraucher beim Einkaufen schaffen kann. Jetzt ist es an der Zeit, dass Unternehmensführer und Marken nicht nur den Einzelhandel neu erfinden, sondern diese fesselnd-eintauchenden Einkaufserlebnisse in die Zukunft katapultieren.


Adaptiv übersetzter Artikel von Helen Papagiannis, der am 7.10.2020 im Harvard Business Review veröffentlicht wurde https://hbr.org/2020/10/how-ar-is-redefining-retail-in-the-pandemic?utm_medium=email&utm_source=newsletter_daily&utm_campaign=dailyalert_notactsubs&deliveryName=DM100264


Helen Papagiannis ist Autorin von Augmented Human und entwirft seit 15 Jahren Augmented-Reality-Erlebnisse. Ihr Beratungsunternehmen XR Goes Pop konzentriert sich auf die Zukunft des Einzelhandels und des immersiven Geschichtenerzählens. Folgen Sie ihr gern auf Twitter @ARstories.

 

1 Gedanke zu „Wie AR den Einzelhandel in der Pandemie neu definiert“

  1. Nach ersten Gehversuchen im deutschen Markt Anfang des neuen Jahrtausends erlebt Augmented Reality auch bei uns ein Revival. Nachdem Kellogg bei seiner gerade gelaunchten Zimt-Cerealie einen kleinen Drachen als virtuellen Character mittels AR zum Leben erweckt hat, wird jetzt auch Aldi seine Werbeprospekte mit Hilfe von Snoopstar multimedial anreichern. Die angewandte Augmented Reality Intelligence macht es dabei erstmals möglich print-basierte Informationen mit zielgruppenspezifischen Bewegtbild-Inhalten zu kombinieren. Nähere Infos finden Sie unter https://snoopstar.com/de/

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