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Wo sind die Querdenker im eigenen Unternehmen?

Ideenkilling

Idea Killer Organigramm nach Tom Fishburne

Man hat sie fortgejagt, kaltgestellt, kleinmütig gemacht. Dabei würden sie gerade heute dringend gebraucht, um durch den Wandel zu lotsen. Doch welche Art Querdenker ist dafür geeignet? Hier kommen die „Street Smarts“ ins Spiel. Mit frischen Gedanken, mutigen Ideen und neuen Vorgehensweisen sind sie als „Manager für neue Wachstumsideen“ erste Wahl.

Querdenker fehlen? Es ist die „Command & Control“-Kultur, die sich nun rächt: Die Beschäftigten werden für Konformismus belohnt, für das Befolgen vordefinierter Verfahrensweisen prämiert und für das Erreichen vorgegebener Ziele bonifiziert.

So wird das, was zu tun ist, im Abarbeitungsmodus „at target, on budget, in time“ erledigt. Heißt: Aus potenziellen Mitdenkern hat man Mündel gemacht, die zwar diszipliniert, doch mehr oder weniger meinungslos auf Anweisungen warten.

Mit anderen Worten: Man macht seine Mitarbeiter mundtot und führungsbedürftig. Denn vorgezeichnete Wege hemmen die Fantasie und zerstören damit die Möglichkeit, eigene, andere, bessere Wege zu einer Zielerreichung und in die Zukunft zu finden.

„Use it or lose it“, so arbeitet unser Gehirn. Das gilt auch für frische, wilde, kühne, kreative Ideen. Wer nicht in Übung ist, verliert die Fähigkeit, sie zu entwickeln. Genau das macht Transformationsversagen sehr, sehr wahrscheinlich.

Anecken muss man aushalten können – und wollen

In unserer rasch voranschreitenden Digitalökonomie, in der immer mehr Neues das Alte verdrängt, sind Querdenker unentbehrlich. Weil sie aber Vertrautes in Zweifel ziehen, als „normal“ erachtete Routinen ad absurdum führen und unkonventionell um die Ecke denken, sind Querdenker Störfaktoren.

Und die Gestörten, als Nutznießer des Systems in ihrem Besitzstand oder in ihrer Komfortzone bedroht, werden sich wehren. Ebenso die, die vom Wohlwollen der Gestörten abhängig sind. Und natürlich all die, die ihre Machtposition bröckeln sehen.

Denn Querdenker lassen sich nicht kontrollieren. Sie sind Andersdenker, Infragesteller, Neuesprobierer. Sie verlassen die üblichen Pfade auf vertrautem Terrain. Deshalb werden sie gern als Sonderlinge betrachtet, abgekanzelt, angefeindet und ausgegrenzt. Für viele Menschen ist sowas schwer erträglich.

Denn Isolation gehört zu unseren schlimmsten Ängsten. Allein in der Wüste – der sichere Tod. Die Konventionen eine Gemeinschaft sind das kleinere Übel. Deshalb lassen die meisten das Querdenken, obwohl sie Potential dafür hätten, lieber sein.

Ohne Querdenker-Initiativen wird man nicht anders genug

Zwar wird das Querdenken immer mehr eingefordert, ist aber eigentlich gar nicht erwünscht. Die Beschäftigten spüren das intuitiv – und verhalten sich lieber still. In einem konformistischen System haben die „bunten Vögel“ kaum Überlebenschancen.

Querdenker stören den Regelbetrieb, Musterbrecher destabilisieren das System und disruptive Neuerungen sind viel zu ungewiss, wenn Quartalsergebnisse erreicht werden müssen. Nicht innovativ zu sein ist in den meisten Organisationen die bessere Wahl.

Schwingt sich zudem einer zum Neuerer auf, hat er die Nutznießer des alten Systems sehr schnell zum Feind. Die sind in Wahrheit sehr unbegeistert über den Wandel, dem sie sich stellen müssen. Mithin sind die vielzitierten Beharrungstendenzen erklärlich.

Doch neue Zeiten können nicht auf alte Weise gemanagt werden. In einer Umgebung von gestern kann man nicht auf Gedanken für morgen kommen. Und hohe Dynamik kann nicht durch starre Prozesse entstehen. Im „Dschungel“ einer zunehmend unvorhersehbaren Zukunft können Unternehmen ohne Querdenker nicht überleben.

Die Erkenntnis ist da – doch es gibt ein Umsetzungsproblem

Ich höre schon den Aufschrei all derer, die sagen, heute sei das schon anders. Man führe jetzt transformativ und ließe agile Methoden zu. Das ist sehr zu begrüßen. Doch schaut man genauer hin, passiert das meiste nur punktuell. Zudem beschränkt sich das Vorgehen auf die Mitarbeiterseite, die Arbeitsplatzgestaltung und neue Arbeitstools.

An den organisationalen Basisstrukturen hingegen ändert sich nichts. Die Führung selbst ist weiterhin hierarchisch aufgestellt. Was bedeutet: Man dreht zwar an kleinen Schräubchen, aber nicht am großen Rad. Das alte System hat nach wie vor die Oberhand.

Visuell manifestiert sich dies in Form eines Topdown-Organigramms – und das sagt mehr als tausend beteuernde Worte. Der Chef thront ganz oben, darunter, in Kästchen eingesperrt, seine brave Gefolgsmannschaft. Die Mitarbeiter kommen in einem üblichen Organigramm, so wie es fast überall gang und gäbe ist, nicht einmal vor.

Vielmehr wird darin dokumentiert, wer wem vorgesetzt und wer wem untergeben ist. Führungskräfte werden vor allem dafür bezahlt, dass die Mitarbeiter wie gewünscht spuren. Rigide Vorgaben, diszipliniertes Abarbeiten und „Dienst nach Vorschrift“ sind üblich. Ganze Abteilungen sind dazu da, andere zu kontrollieren.

Kontrolle kann zwar Fehler verhindern, doch sie weckt kein Leben, erzeugt keinen Schwung, keine Kreativität, kein Engagement und schon gar keine bahnbrechenden Innovationen. Vielmehr macht Kontrolle die Menschen kleinlaut und gefügig. So züchtet sie geradezu den supergefährlichen blinden Gehorsam.

Obacht! Worte sind die Kleider unserer Gedanken

Auch Managersprache entlarvt das wahre Mindset sofort. Führungskräfte machen ihre Bedeutung gern daran fest, wie viele Mitarbeiter bei ihnen „aufgehängt“ sind. Change-Projekte werden topdown auf die „unteren Ebenen“ „ausgerollt“. Steht Neues an, dann müssen die „niederen Chargen“ „mitgenommen“ werden. Ziele und Vorgaben werden „heruntergebrochen“. Leute, denkt doch mal nach:

  • Von „aufgehängten“ Mitarbeitern bekommt man gar nichts. Die sind nämlich tot.
  • Wird über Mitarbeiter was „ausgerollt“, sind die platt – also bewegungsunfähig.
  • Wer „mitgenommen“ wird, läuft nicht voraus, sondern passiv hinterher.
  • Der, auf den was „heruntergebrochen“ wird, fühlt sich ziemlich beschissen.

Das ist doch nur so dahingesagt? Sprache prägt Denkweisen – und damit auch Verhalten. Zudem multipliziert sich der Tenor solch herablassender Rede und sorgt für ein toxisches Klima. Deshalb lohnt es sich sehr, mit Worten achtsam umzugehen.

Booksmarts: die Totengräber für Fortschritt und Zukunft

Vor allem Manager sind linientreu – sonst hätten sie gar keine Karriere gemacht. Sie werden für Punktlandungen auf Ziele, Pläne und Budgets belohnt. Größere Risiken gehen sie lieber nicht ein, weil Fehlentscheidungen der Karriere schnell schaden.

Zudem sind sie methodenhörig. Mit den gleichen Management-Tools, die alle von der Uni her kennen, wird die Unternehmenswelt unreflektiert überschwemmt. Wenn dann was nicht klappt, ist man selbst gar nicht schuld, schließlich hat man eine „bewährte“ Methode gewählt. „Book Smarts“ nennt man solche Personen.

Book Smarts sind diejenigen, die Zusammenhänge theoretisch ausgezeichnet verstehen. Sie setzen auf Wissen und Logik und malen sich vom Schreibtisch aus eine hypothetisch perfekte Landkarte von einer längst nicht perfekten Welt.

Sie agieren in einem abgeschotteten Raum. Balken, Torten und Diagramme sind ihre Realität. Sie analysieren und analysieren. Und das dauert und dauert. So verplempern sie, als „Stubenökonomen“ bezeichnet, wertvolle Zeit. Zeit, die in Zukunft niemand mehr hat.

Im Zahlengewusel der Dashboards vor ihrer Nase hat sich nicht selten auch ihr gesunder Menschenverstand verflüchtigt. Checklisten und Prozesse nach Plan geben ihnen das Gefühl, alles im Griff zu haben. „Gebrauchsanweisungssüchtig“ nennt man das auch.

Das Neue muss lohnenswerter sein als das „weiter wie bisher“

Damit eine umfassende Erneuerung einsetzen kann, braucht es vor allem die richtigen Menschen. Diese benötigen zuvorderst Neugier, Wissensdurst, Forscherdrang, Pioniergeist und Experimentierfreudigkeit. Derartige Eigenschaften sind, so wie jede andere Eigenschaft auch, in den Menschen verschieden stark angelegt.

Wurde bislang alles nach Plan geregelt und hat man seine Mitarbeiter für das Einhalten vordefinierter Verfahrensweisen belohnt, darf man sich natürlich nicht wundern, wenn es in einer Firma nur wenige Talente mit diesen Persönlichkeitsmerkmalen gibt.

Wird ein Individuum zudem für schöpferische Leistungen oft kritisiert oder werden seine Ideen ständig zurückgewiesen, entsteht ein Phänomen, das als „Kreativitätskränkung“ bekannt ist. Und das bedeutet: Die Neugier erlischt.

Deshalb muss man nach Beschäftigten Ausschau halten, die Neues als Stimulus brauchen und Neugier nach wie vor in sich tragen. Zudem werden Mut, Biss und Durchhaltevermögen benötigt, um auf unbekanntem Terrain triumphieren zu können.

In den Unternehmen werden Street Smarts dringend gebraucht

Street Smarts sind diejenigen, die sich auf dem Weg durch den Dschungel nicht auf eine Landkarte verlassen. Sie wissen, dort hilft sie rein gar nichts. Sie leiten Lösungen aus bereits gemachten Erfahrungen ab oder konsultieren ihr Netzwerk, quasi das Wissen der Straße. Und dieses steht nicht im Wöhe, der Bibel der Betriebswirtschaftslehre.

Mit Lehrbuchformeln kommt man heute nicht weit. Denn die Wirklichkeit ist immer anders. Und die Zukunft ist unklarer als jemals zuvor. Der Planungshorizont flimmert, die Vorhersagbarkeit geht gegen Null. Disruptionen gibt es an jeder Ecke. Und sie kommen wie aus dem Nichts.

Natürlich ist Bücherwissen sehr hilfreich. Problematisch ist nur, wenn man abstrakte Kenntnisse wie eine Schablone benutzt, anstatt sich gemeinsam Gedanken darüber zu machen, wie man sein Vorgehen auf eine jeweilige Situation passgenau überträgt.

Permanente Vorläufigkeit ist die neue Norm. Und alles wird ständig anders. Street Smarts wissen das ganz genau. Sie sind umtriebig und unbekümmert, optionsfreudig, einfallsreich und veränderungsinteressiert. Querdenker eben. Das ist es, was die Ökonomie fortan braucht.

Mehr dazu finden Sie in „Die Orbit-Organisation. In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft„. Es wurde Finalist beim International Book Award.


.Über die Autorin:

Anne-M-SchüllerAnne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Veranstaltungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Zudem wurde sie mit dem BestBusinessBook Award 2019 ausgezeichnet. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager sowie zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus. Weitere Infos: www.anneschueller.de